EINE REISE DURCH SIKKIM, Reisebericht Teil 2
Reisebericht Sikkim – Teil 2
Geschrieben von Peter Oppliger
Zu den Temi-Teeplantagen
Viele Städte und grössere Siedlungen wurden in Sikkim meist an höher gelegenen Berghängen oder zuoberst auf Passübergängen erbaut. In den Tälern oder an den Flüssen findet man Siedlungen fast ausschliesslich bei Brücken, die über die grossen Flüsse führen. Erklären kann man sich das einerseits mit der Besonnung für die Landwirtschaft, welche in den tiefen und engen Tälern nicht gewährleistet ist. Andererseits mag dies ein strategischer Schutzgedanke gewesen sein, um die Täler von oben herab kontrollieren zu können.
Für Reisende bedeutet diese Situation eine beschwerliche, aber auch eine interessante und abwechslungsreiche Fahrt. So liegt zwischen Namchi und Temi das tiefe, romantische Tal des Teesta-Rivers mit einigen in die Jahre gekommenen Hängebrücken, welche die Ufer der Flussläufe und hier auch Ost- und Südsikkim verbinden.

Verbindet Welten: Eine der vielen alten Brücken über den Teesta-Fluss.
Die Strasse vom Teesta-Tal zu den Temi-Plantagen ist vom Monsun durch Erdrutsche, Felsstürze und reissende Bäche derart zerstört, dass es kaum Worte gibt, um diese Situation zu beschreiben. Um eine Bergstrasse von 40 Kilometern zu befahren, benötigten wir über drei Stunden. Zudem war es eine Höchstleistung an Konzentration. Unser Fahrer Dorjee meisterte diese Situation dank seiner Erfahrung souverän.
In Temi erwarteten uns Rajah und Ram, unsere Teefreunde, die wir vor einigen Tagen in Siliguri besucht hatten. Temi ist die einzige Tee-Grossplantage in Sikkim. Der damalige König, ein Pionier der biologischen Landwirtschaft, hatte diese Plantage im Jahr 1960 errichtet und dem Volk von Sikkim geschenkt. Damit wurde Temi ab Beginn zur Vorzeige-Teeplantage, selbstverständlich streng biologisch bewirtschaftet.
Nach der Begrüssung durch alle Verantwortlichen und der Direktorin der Temi-Plantage steht die Besichtigung des ganzen Betriebes mit anschliessender Degustation und Mittagessen auf dem Programm. Die Verarbeitungsmaschinen sind modern, sehr sauber, aber nicht computergesteuert. Auf Hygiene wird grossen Wert gelegt. Überzieh-Schuhe, Mantel, Kopfbedeckung und Mundschutz sind für alle Besucher Pflicht. Entsprechend sauber sind alle Räumlichkeiten vom Büro bis zum Lager.

Tee-Degustation im Temi-Garten – einer der wenigen biologisch zertifizierten Teegärten Sikkims. → Tees aus Indien Sikkim
Unser Teefreund Rajah Banerjee aus Siliguri ist der fachliche Berater für die produzierten Tee-Qualitäten. Die Direktorin erklärt uns, dass Temi auch sozial ein Musterbetrieb sei. Eine gute Entlöhnung der vielen Pflückerinnen ist hier selbstverständlich. Auch während der erntefreien Monate werden sie voll beschäftigt. Ein Beispiel dafür ist die Verarbeitung des Bambus, welcher entlang des Regenwaldes in grossen Mengen wächst. Daraus entstehen kleine Kunstgegenstände, Werkzeuge, Vasen, Musikinstrumente u.a.m – das zu sehen war für uns sehr eindrücklich.
Auf dem Weg zum Guesthouse begegnen wir fröhlichen, singenden Pflückerinnen, welche in kleinen Gruppen ihrer Arbeit nachgehen. Temi kennt keine maschinelle Tee-Ernte, nur Handarbeit. Diesen Luxus können sich nur noch wenige Tee-Produzenten leisten. In Japan beispielsweise wären die Löhne dafür viel zu hoch. Am Rande der Plantagen stehen auffällig viele blühende Kirschbäume, die hier Ende September, also nach dem Monsun, blühen. Das kleine, sehr luxuriöse Guesthouse öffnet nur für Gäste der Plantage. Und diese Gäste werden zudem sehr verwöhnt.

Handgepflückt statt maschinell: Temi setzt kompromisslos auf Qualität.
Für uns Tee-Spezialisten war der Besuch von Temi Beweis dafür, dass echte biologische Teeproduktion kompromisslos möglich ist. Auch darum, weil sich alle Landwirtschaftsbetriebe von Sikkim streng – aber auch mit grossem Stolz – an die Organic-Regeln halten. Somit erreichen auch keine Pestizidrückstände von allfälligen «unsauberen» Nachbarn die Temi-Plantage.
Martam
Unser nächstes Ziel heisst «Paradise on Earth», ein Natur-Resort mit acht kleinen Gäste-Bungalows. Mit vielen Blumen macht es seinem Namen alle Ehre. Dieses Paradies liegt am Rande des kleinen Dorfes Martam. In den wenigen Wohnhäusern sind auch Handwerker wie Schuhmacher, Schreiner, Schneider u.a. tätig. Ausserhalb des Dorfes sind es Kleinbauern, welche nebst Ziegen auch einige Kühe besitzen. Der wichtigste Wirtschaftszweig ist hier der Reisanbau – es ist der grösste von Sikkim. Seit einigen hundert Jahren existieren die als Terrassen angebauten Reiskulturen, harmonisch in die Landschaft eingebettet. Auch hier sind es Kleinbauern, die in Handarbeit Reis-Ähren ernten.
Typisches Bauernhaus in Martam
Das Haus eines Schneiders.
Martam ist ein idealer Ausgangsort für Wanderungen entlang der Reisterrassen oder in die nahen Rhododendron-Wälder und in den Dschungel zur Beobachtung von Wildtieren, Vögeln und Schmetterlingen. Der verantwortliche Gastgeber des Resorts hat uns mit fachkundiger Information an sehenswerte Orte begleitet. Mit dem Besuch eines kleinen Klosters, wo nur wenige Mönche (Lamas) wohnen, beschliessen wir die drei Tage im «Paradise on Earth».
Das Kloster Rumtek
In Sikkim existieren etwa 75 buddhistische Klöster, meist dem tibetischen Buddhismus zugehörend. Die Mönche, farbenfroh in orange-braune Gewänder gekleidet, erfüllen die Aufgabe als Seelsorger und werden gerufen für Segnungen aller Art. Sie praktizieren auch Sterbebegleitungen nach den traditionellen Ritualen des «Bardo Tödol» (Tibetisches Totenbuch) und sie betätigen sich in den grösseren Klöstern als Lehrer.
Das eindrucksvolle Kloster Rumtek – spirituelles Zentrum der Karma-Kagyü-Linie.
Entlang unserer Reiseroute haben wir viele dieser kleineren Klöster besucht. Überall wird man von lebensfrohen Mönchen begrüsst und empfangen. Das Kloster Rumtek, nur zehn Kilometer von Gangtok entfernt, ist wahrscheinlich das grösste Kloster Sikkims. Es strahlt seinen Besuchern dank seiner Architektur und Schönheit von weithin prunkvoll entgegen. Auffallend sind die vielen Kinder im Klosterhof, die, bereits als Mönche eingekleidet, mit Spielen aller Art beschäftigt sind. Einige der kleinen Mönche erblicken uns beim Eingang zum Klosterhof, rennen uns entgegen, schütteln unsere Hände und freuen sich offensichtlich, Ausländern zu begegnen. Die etwas Älteren unter ihnen sprechen auch schon Englisch und beantworten nicht ohne einen gewissen Stolz unsere Fragen.
Junge Mönche in Rumtek – zwischen Ritual, Alltag und Spielfreude.
Aus Tradition betreiben einige Klöster Internatsschulen. Junge Knaben werden schon im Alter von sechs Jahren als Schüler aufgenommen und als Mönche eingekleidet. Etwa fünfzehnjährig können sich die Knaben dann entscheiden, entweder als Mönch im Kloster zu bleiben oder als künftige Berufsleute jeder Art «draussen in der Welt» tätig zu sein. Der Kontakt zur Aussenwelt ist schon dadurch gesichert, indem die Schüler alle Ferien daheim bei ihren Eltern verbringen.
Der Zugang zum Kloster Rumtek wird – für uns etwas befremdend – von Militär bewacht. Die Besucher werden sehr freundlich, aber streng kontrolliert. Nach unserem Besuch frage ich nach einem verantwortlichen Offizier und bitte ihn um Erklärung zu dieser Präsenz der Armee an diesem heiligen Ort. Freundlich und stolz ist er – nach der Frage nach unserer Herkunft – gerne bereit für ein klärendes Gespräch. So erklärt er uns: «Wir sind hier nicht weit von Tibet, also von der chinesischen Grenze entfernt. Mit unserer Präsenz an so wichtigen kulturellen und religiösen Orten wollen wir unsere Bereitschaft zeigen, das Land jederzeit gegen China verteidigen zu können. Die indische Armee ist heute sehr stark, ein zweites Drama wie in Tibet darf sich nicht wiederholen.»
Gangtok
Sikkims Hauptstadt hat sich seit meinem Besuch vor über 30 Jahren enorm gewandelt. Die Stadt ist, trotz einer Verkehrsdichte, die wir nicht erwartet haben, noch immer sehr sauber. In der Innenstadt gibt es zwei verkehrsfreie, grosse Fussgängerzonen mit den entsprechenden Geschäften. Teeläden, Restaurants, eine italienische Cafeteria und natürlich Schmuck- und Souvenirläden sind hier zu finden.

Zwischen Moderne & Tradition: Die gepflegte Innenstadt von Gangtok.
Etwas ausserhalb der City haben wir im «Hidden Forest» für einige Tage einen Bungalow gebucht. Das kleine Hotel ist eine originelle, romantische Kombination aus einheimischer Gastronomie und einer grossen Orchideen-Gärtnerei, wo viele tausend subtropische Orchideen für den Export kultiviert werden. Nebst dem Besuch des Tibetan-Institute, den Klöstern Enchay und Tsuklakhang ist Gangtok idealer Ausgangspunkt für Reisen in die Berge zum heiligen Tsongo-See auf 4000 m ü. M., für Trekkings in die Hochtäler von Nord-Sikkim usw. Den Park des ehemaligen Königspalastes hatte ich noch etwas prunkvoller in Erinnerung. Auch das Riesenteleskop mit der Beschriftung «Geschenk von Adolf Hitler, 1914» ist verschwunden. Es scheint, man wolle Relikte aus dieser Zeit auch hier verschwinden lassen.

Tempel im ehemaligen Park vom Königspalast.
Der Besuch des Elternhauses unserer seit Jahren in der Schweiz lebenden Freundin Leila war sehr speziell für uns. Mit dem Auto etwa zwei Stunden von Gangtok entfernt, liegt das kleine Dorf Pakyong, wo uns die Eltern von Leila in einem schmucken Haus inmitten eines gepflegten Blumengartens erwarten. Ein herzlicher Empfang, der mich beim Schreiben dieser Zeilen immer noch mit grosser Freude erfüllt. Im ersten Stock des Hauses ist das nun unbenutzte Zimmer Leilas, das angezogene Bett immer bereit für sie. Schliesslich besucht sie ihre liebenswürdigen Eltern fast jährlich. Ihr pensionierter Vater, ehemals Polizeibeamter, zeigt ausserhalb des Blumengartens stolz seine Kuh, den Hühnerstall und den üppigen Gemüsegarten. Zum festlich anmutenden Mittagessen waren auch Nachbarn und Verwandte eingeladen. Sie alle zeigten sich um Leila besorgt und wollten von ihrem Leben und Wohlergehen in der Schweiz erfahren.
Ausblick
Mit neuen Eindrücken vom Leben in Sikkim fahren wir mit Dorjee zurück nach Gangtok. Wir haben in diesem Land im Himalaya nun so viel gesehen und erlebt, dass wir uns zum Ausruhen und zum Verarbeiten aller Eindrücke zu einer Reisepause entschliessen. Dazu eignet sich gemäss den Empfehlungen von Freunden das Hotel Mayfair in Kalimpong.
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